Freitag, 12. Juli 2019

Nicht diktiert, aber gelesen: Die Nachrufe zu Artur Brauners Tod sind ein Trauerspiel für sich



von Frank Blum


Addio Atze  -  nun hat es ihn also schließlich erwischt, irgendwann musste es ja geschehen.

Und die Kritikerschelte geht weiter, sie wollen es nicht anders: Friedeman Beyer hat keine Ahnung, Fritz Göttler hat keine Ahnung, und der ungenannte Autor der Bild macht denselben Fehler: Artur Brauner hat Die Halbstarken produziert, Bild brachte gar noch ein Szenenfoto mit Buchholz und Karin Baal. Au weia! Wie ist so etwas möglich? Die einzige Erklärung, die mir einfällt: Diese Journalisten, auch der von mir eigentlich hochgeschätzte Göttler, haben alle falsch voneinander abgeschrieben, weil es ihnen einfach zu gut geht, genau wie unseren sogenannten Filmschaffenden auf der Pro- duktionsebene. Hier wie da regiert eine Mafia aus gewohnheitsrechtlichen Geister-Planstellen, wie bei Beamten, sie machen jahrzehntelang Fehler und werden trotzdem nicht gefeuert. Der erste, bei dem alle anderen abgeschrieben haben, hat wohl Die Halbstarken mit Die Frühreifen verwechselt, das war indertat ein Atze-Film, mit dem er sich wie so oft vom Erfolg eines Vorläufers eine Scheibe abschneiden wollte.

Und das war nicht der einzige Fehler, den sich Beyer in der Welt und Göttler in der Süddeutschen leisteten, gerade der von mir bis jetzt besonders verehrte Göttler enttäuscht mich entsprechend tief. Bei den von mir gelesenen Nachrufen schnitten noch die aus dem Kölner Stadt-Anzeiger und dem besonders ausführlichen im Berliner Tagesspiegel recht gut ab, wobei der Tagesspiegel sich auch einige kritische Töne erlaubte. Anlass gab Atze genug, etwa wenn er in der Korrespondenz zu Der letzte Zug seine Produktionspartner zur Weißglut brachte, wenn er über seine Unterschrift stets "Diktiert, aber nicht gelesen" schrieb. Das ist kein Witz, ich habe die Korrespondenz personlich eingesehen.Wie löblich also der Ton des Tagesspiegel gegenüber dem Kniefall unserer Kultur- staatsministerin Grütters, die wie fast alle Politiker die politische Korrektheit mit Suppenlöffeln inha- liert hat und kundtat, Brauners Entscheidung, nach Kriegsende in Berlin zu bleiben, sei wie "ein Geschenk" an die Deutschen gewesen.

Die Wahrheit sieht anders aus. Artur Brauner hat niemals jemandem irgendetwas geschenkt. In Berlin blieb er, weil er damals dachte und zugleich geschäftlich kalkulierte: In dieser Stadt kann es nur aufwärts gehen. Er profitierte von den Fördermilliarden des Bundes, die nach West-Berlin flossen, von der deutschen Rechtssicherheit, auf der er sein Film- und vor allem sein internationales Im- mobilienimperium errichten konnte, von der Größe des deutschen Filmmarktes, der schon vor der Wiedervereinigung der größte Europas war - bis zur Abschaffung der Vermögenssteuer durch Kanzler Kohl, die Brauner wie alle Millionäre jubeln ließ. Zwischen diesen beiden Polen, der Entscheidung zum Verbleib in Deutschland bis zum Erlass der Vermögenssteuer liegt ein halbes Jahrhundert voller beruflicher Erfolge, die Brauner in anderen Ländern nicht unbedingt vergönnt gewesen wären. Und er profitierte von der Verwandtschaft des Jiddischen mit der deutschen Sprache und last not least vom Schuldkomplex der Deutschen den Juden gegenüber.

Bereits während des Krieges wurde er zweimal von einem Wehrmachtsangehörigen gerettet, was freilich in keinem der Nachrufe auch nur angedeutet wird  -  die Wehrmacht kann eben nicht einfacf etwa mit der SS in einen Topf geworfen werden, eine solche Prätorianergarde war die Wehrmacht eben nicht.
Schon Anfang September 1939 wurde Brauner in Polen zum Tode verurteilt und dann am Vorabend der Exekution von einem Wehrmachtsoffizier begnadigt, er ließ den jungen Mann laufen. Als Brauner sich später in einem der Wälder, die wohl im russischen Grenzgebiet oder dem von den Russen besetzten Ost-Polen lagen, versteckte sich Brauner zusammen mit anderen in einem Erdloch. Da wurden sie von einem deutschen Soldaten entdeckt; dieser überlegte kurz, grüßte dann und ging weiter.
Und das steht nicht im Amateurlexikon Wikipedia, sondern bei Brauner selbst, in seinen 1976 er- schienenen Memoiren. Seitdem, so schreibt er dort, war für ihn klar, dass Gut und Böse keine Frage der Nationalität sind. Was ihn indes später, als er in Deutschland hohe Steuerschulden hatte, nicht daran hinderte, die Kollektivschuldthese zu instrumentalisieren und auf besondere Rücksicht auf ihn als Juden und Holocaust-Überlebenden zu pochen.

Nun wartete ich also noch auf den Nachruf in der Zeit, verfasst vom Regisseur Dominik Graf, und die Zeit erscheint bekanntlich erst Donnerstags. Hier, um etwas versöhnlicher zu enden, fand ich beim ersten Überfliegen keine empirischen Fehler. Besonders sympathisch ist mir natürlich, dass Graf den Todesrächer von Soho dermaßen ausführlich behandelt, ist er doch wie Akasava, dem Namensgeber unserer Filmgruppe (siehe auch den nächsten Beitrag unten), von Jess Franco.

Eine ausführliche Besprechung aller mir zur Verfügung stehenden Nachrufe mit der Korrektur auch der anderen Fehler von Beyer und Göttler wird den Schlussteil in der kommenden neuen Auflage meiner Brauner-Biografie im Selbstverlag bilden, die (wenn nicht vorher das Geld ausgeht) im Herbst erscheint. Die Auflage wird klein werden, Vorbestellungen lohnen sich.





Unter der Sonne Akasavas

 Zur Etymologie eines Begriffs aus dem Wallace-Kosmos


Neulich sah ich endlich zum ersten Mal den Film Das Phantom von Soho, und ich traute meinen Ohren nicht: Als Werner Peters staunend sagt, er habe Dieter Borsche schon einmal gesehen, und zwar mit Tropenhelm, da spricht er zur neben ihm sitzenden Elisabeth Flickenschildt von "Aka- schavaland". Das "s" von Akasava spricht er also "sch" aus, aber wie auch immer, dies ist der Beweis dafür, dass sich der Autor, Edgar Wallace Junior, durchaus näher mit dem Werk seines Vaters befasste, auch insofern, als er diese vom Vater erfundene Topografie Afrikas aus dem Sanders-Zyklus ebenfalls benutzte und, sogar recht spektakulär, fortschrieb.

Es geht nämlich um eine luxuriöse Yacht, die von den Gangstern vor der Küste Afrikas, vermutlich Akasavas, versenkt wurde, um eine hohe Versicherungssumme zu kassieren  -  freilich alles Oral History, auch dieser Film war eine Atze-Produktion, die Yacht bekommt man nie zu sehen. Vor zehn Jahren schrieb ich in dieser Zeitschrift einen Artikel "Akasava - aber wo liegt es?". Damals wies ich darauf hin, das Francos Der Teufel kam aus Akasava und ebenso die bekanntlich megakritische Rezeption durch Rolf Giesen derart konfus sind, dass Franco und Giesen an manchen Stellen zur Annahme verleiten, Akasava könne auch in Südamerika liegen.

Für alle, die mit dem Stoff nicht so vertraut sind: Akasava ist für die Edgar Wallace- wie auch für die Franco-Verehrer, zumindest für einige Orthodoxe unter ihnen, zu denen ich und vielleicht auch Herr Graf gehören, heilige geweihte Erde. Es ist für uns also durchaus relevant, wenn hier zum ersten Mal festgehalten wird, dass für Wallace Junior das Land Akasava eindeutig in Afrika liegt und zudem, neben den in den Sanders-Erzählungen und dem Francofilm, noch ein drittes Mal Schauplatz eines Wallace-Abenteuers war, das zeitlich auch noch vor dem Francofilm lag; Das Phantom von Soho wurde 1963/64 gedreht. (fb)



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